Da wo Du hingehörst


Normalerweise würde im Kalender heute ein dicker Kringel vermerkt sein. Groß, dick und in leuchtend roter Farbe. Ich bin kein Mensch der sich gut Termine merken kann, das war schon zu Schulzeiten so, da verlängerte sich das Ende des 2ten Weltkrieges auch schon mal gerne um 2 Monate. Nein, Termine waren noch nie eine Stärke von mir, weswegen ich dazu neige alles an Terminen in Kalendern aller Art einzutragen. Wenn es eine Funktion in meinem Handy am meisten nutze, dann die des Kalenders. An sich brauche ich keine Wandkalender, dafür habe ich ja das Handy, doch manche Dinge sind so wichtig dass ich sie mir besser merken kann wenn ich sie zuvor auf Papier markiert habe. So brennt es sich in meinem Kopf ein und ich kann sicher gehen es nicht zu vergessen. Ein Verhalten, was Dich immer zu kleinen bissigen Bemerkungen verführt hat.

Heute ist allerdings kein Kringel im Kalender und ich brauche auch nicht in den Kalender meines Handys zu sehen. Ich weiß was für ein besonderer Tag heute ist und ich weiß das ich ihn auch nie wieder vergessen werde, denn er ist mit Dir verknüpft.

An sich muss ich mich gar nicht mehr an diesen Termin erinnern, denn seit unserem letzten richtigen Treffen sind viele Tage vergangen und noch mehr seit unserem letzten Kuss. Ich weiß auch nicht so wirklich was Du machst oder wo Du steckst. Trotzdem warst Du mir immer präsent in mir: Eines Nachts hatte ich einen Traum, einen Traum von Dir. Ich träumte wie ich im Zug saß und die Landschaft an mir vorbeizog. Ich hatte keine Ahnung wohin ich fuhr und sonderlich bekannt kam mir die Landschaft auch nicht vor. Ich schaute mich in dem Großraumwagen um, doch außer mir saß niemand im Zug. Am Ende des Wagens öffnete sich mit einem behutsamen Zischen eine Tür und der Schaffner trat hinein. Fast schon automatisch kramte ich in meine Taschen, fand aber keinen Fahrschein. Der Schaffner kam auf mich zu und blieb bei mir stehen. Er hatte einen buschigen, leicht angegrauten Walrossbart und freundlich, funkelnde Augen.

„Es tut mir leid…“ begann ich, „doch ich habe keinen Fahrschein bei mir.“
„Das sehe ich anders“ sagte er in einem beruhigenden tiefen Ton, „Hätten Sie keinen Fahrschein, wären Sie gar nicht erst hier mein Herr.“
„Äh, ehrlich gesagt verstehe ich nicht so ganz was sie meinen…“
„Ganz einfach, wenn sie sich auf etwas einlassen, eine Reise begeben, dann haben sie bereits einen Fahrschein bei sich. Sie verlieren ihn erst dann wenn sie die Reise abbrechen oder aber ihr Ziel erreichen.“
„Mein Ziel? Aber ich weiß doch gar nicht wo mein Ziel sein soll“
Der Schaffner lachte freundlich aber kräftig, so dass die Pfeife die an seinem Gürtel befestigt war vergnügt auf und ab hüpfte. „Das Ziel mein Herr erkennen Sie wenn Sie angekommen sind. Folgen Sie nur Ihrem inneren Kompass…“

Verwirrt sah ich ihn an.

„Glauben Sie mir, es hat alles seinen Grund, genauso wie es einen Grund hat, weswegen Sie gerade am heutigen Tage mit unserer Bahn verreisen“
„Was ist denn heute für ein Tag?“
„Aaah! Sieht so aus als kämen wir zu Ihrer Station, hier müssten sie aussteigen mein Herr.“ brummte der Schaffner freundlich und ging langsam weiter.
„Aber wo soll ich denn hin? Und wo bin ich hier?“
„Da wo sie hingehören“ sagte der Schaffner ohne sich nochmal umzudrehen. „Für den Rest des Weges nutzen Sie Ihren Kompass.“

Der Zug wurde langsamer und langsamer bis er schließlich an einem kleinen Gleis zum Halt kam. Ich stand auf und stieg aus dem Zug. Kaum war ich ausgestiegen, schloss sich die Türe wieder, aus der Ferne ertönte ein Pfiff und gemächlich schnaubend setzte sich der Zug wieder in Bewegung.

Ich sah mich um und sah auf das Stationsschild auf welchem stand: „Da wo Du hingehörst!“ Emsiges Kopfschütteln. Innerlich hatte mich eine Unruhe erfasst, jedoch konnte ich nicht eingrenzen woher diese Unruhe kam. Etwas trieb mich an. Nur was? Ich konnte es mir nicht erklären.
Vom Bahnsteig aus führten lediglich zwei Wege in unterschiedliche Richtungen. Das zum Weg dazugehörige Schild war wenig aussagekräftig: So gab es einen Weg der mit einem „!“ gekennzeichnet war und einen mit einem „?“. Welche Richtung sollte ich einschlagen? Erneut sah ich mich um aber nichts von der spärlichen Landschaft um mich herum gab mir irgendeinen brauchbaren Hinweis, es war einfach frustrierend.
Letzten Endes entschied ich mich für das „?“ obwohl ich sicherlich keine logische oder sinnvolle Grundlage dafür bieten konnte. Es hatte sich einfach nur für einen winzigen Moment richtig angefühlt, das war alles was ich dazu sagen konnte.

Der Weg mündete an einem Flussufer. Ich genoss den Anblick des dahinziehenden Wassers, es hatte etwas beruhigendes und vertrautes an sich. Unweigerlich dachte ich an die vielen Augenblicke wo ich zum Fluss, zum Meer geblickt hatte und in Gedanken ihnen meine Sorgen und Sehnsüchte anvertraut hatte. War ich am Fluss so hatte ich stets das Gefühl der Fluss würde meine Sorgen ins Meer tragen wo sie dann langsam zu Boden glitten und mit der Zeit zerfielen. War ich am Meer oder hatte der Fluss das selbige erreicht, so hatte ich das Gefühl von etwas Beschwerendes erleichtert worden zu sein.

Allerdings, wusste ich dieses Mal nichts ihm anzuvertrauen. Lediglich die Frage nachdem was mich hierher kommen ließ beschäftigte mich. Ich schlenderte am Flussufer entlang, vorbei an den sorgsam restaurierten Prachtgebäuden des letzten Jahrhunderts. Niemand war unterwegs außer mir und so schön die Landschaft auch war an der mich der Weg vorbei führte, er trug nicht dazu bei das ich mich besser führte.

Wie lange ich letzten Endes unterwegs war, vermag ich nicht zu sagen, doch mit einem Mal kam ich an einer kleinen Aussichtsplattform vorbei auf der jemand stand und auf den Fluss sah. Langsam ging ich auf die Person zu als sie ich erkannte: Du warst jene Person die dort stand. Du sahst hinaus auf den Fluss. Ich erschrak, damit hatte ich nicht gerechnet. Während ich starr stehen blieb, gab mein Herz einen tiefen Seufzer von sich. Hattest Du es seufzen gehört? Du drehtest Dich um und sahst mich mit wässrigen Augen und einem hauchfeinen, warmen Lächeln an.

Und da wusste ich was für einen Tag wir heute hatten…

Danach wachte ich auf. Ich drehte mich wieder um und versuchte wieder einzuschlafen und weiter zu träumen aber ohne Erfolg. Stattdessen lag ich dar und schaute aus dem Fenster hinaus in das aufgehende Tageslicht. Heute war Dein Tag!

Seitdem, begebe ich mich jedes Jahr an diesem Tag auf die Suche nach Dir. Ich suche Dich dort, wo Wasser fließt, an großen Flüssen, am Meer. ich suche Dich um Dir zu sagen:

Dir meine Liebe: alles Gute zum Geburtstag!

  1. #1 von Efanie am 27. August 2010 - 9:07

    Sehr schöne Geschichte. Ich hab mich sehr gefreut wieder etwas von Dir zu lesen!

    Ich wünschte alle Menschen wüssten so genau wo sie hingehören…

  2. #2 von Lenny_und_Karl am 31. August 2010 - 14:13

    Schön, aber traurig.
    Nun ja, meine Ansicht kennst du deshalb hier nur soviel: Neue Wege sind ungewiss aber immer noch besser als alte, die im Kreis herum immer andenselben alten Erinnerungen vorbei führen. Das Leben will dir noch soviel zeigen!

(wird nicht veröffentlicht)