Sehr amüsanter und auch wahrer Artikel über Köln aus der sueddeutschen:
Köln und das Prinzip der ganzjährigen Session: Die Stadt wird nicht verschönert, sie wird verhöhnert.
Eine Außenansicht des Kabarettisten und Kölners Jürgen Becker
Karnevalisierung heißt Umkehrung“ schrieb der Anglist Dietrich Schwanitz. „Der Narr wird König, der König wird erniedrigt.“ In keiner anderen Stadt betreibt man die Umkehrung so unumkehrbar wie in Köln.
Von außen betrachtet hatte die heilige Messe am 9. Januar etwas Blasphemisches: Drei bunt kostümierte Karnevalisten werden bei einem pompösen Pontifikalamt im Kölner Dom am Altar vom Erzbischof eingesegnet. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes segnet Joachim Kardinal Meisner tatsächlich Prinz, Bauer und Jungfrau, die drei höchsten Repräsentanten im Inferno des rheinischen Frohsinns.
Aber Karneval ist nicht gleich Ballermann, er kann sogar melancholisch sein, schließlich war es das Christentum, das die Religion einst im Sinne von Schwanitz karnevalisierte: Gott in der Verkörperung eines kleinen Kindes, in einer besonders armen Familie. Es war die komplette Umkehrung: vom Allmächtigen hinunter zum abgehängten Prekariat. Daher nennt man im Kölner Volksmund Jesus jovial „Zimmermanns Jupp singe Jung“. In seinem Bestseller „Bildung“ postuliert Schwanitz: „Aber Josef war gar nicht der Vater, sondern Gott! Dafür, dass Josef das geglaubt hat, sprach man ihn heilig.“
Diese Verrückung der Verhältnisse erfordert Verrücktheit. „Jede Jeck is anders“, sagt der Kölner, jeder Verrückte ist unterschiedlich. Veranstaltungen wie Kölsche Weihnacht brechen alle Besucherrekorde. Sie unterscheiden sich nur durch illuminierten Tannenkitsch vom Karneval, denn Weihnachten ist schön, aber in der Session stört es. Diese beginnt am 11.11. und endet nie wirklich.
Nach Aschermittwoch heißt der Prinz Poldi, und auch wenn er bei Bayern München eher zum Ritter von der traurigen Gestalt geworden ist, die Kölner feiern ihn als Stellvertreter Gottes auf Erden. Betriebsunfall Benedikt beweist: Das können die Polen einfach besser als die Deutschen – so auch beim Fußballgott. Die Umkehrung zeigt sich jedoch erst an den Zuschauerzahlen des 1.FC Köln. Sie entwickelten sich stets reziprok zum Erfolg, in der zweiten Liga hatte der Verein mehr Zuschauer als die meisten Bundesligisten. Spätestens in der Kreisklasse braucht Köln ein größeres Stadion.
Wer historische Ursachen für diese Umkehrung sucht, der findet mehr, als ihm lieb ist. Der Kölner Erzbischof Reinald van Dassel raubte im Jahr 1164 bei der brutalen Eroberung Mailands die angeblichen Knochen der Heiligen Drei Könige. Durch den größten je im Abendland geschaffenen Goldsarkophag stilisierten die Kölner die banale Beute zur sensationellen Spitzenreliquie des Abendlandes. Noch heute strahlt das riesige Reliquiar von Nicolaus von Verdun im Kölner Dom gehörig Respekt aus – man könnte Geflügelknochen vom Wienerwald hineinlegen, in diesem Marketing-Monstrum wird einfach alles heilig.
Dass die Gebeine nicht wirklich von den Heiligen Drei Königen stammen, weiß jeder Theologe, dies tat und tut aber dem Profit keinerlei Abbruch. Köln wurde zum größten Pilgerzentrum nördlich der Alpen, und zumindest ein Teil des Doms war in nur siebzig Jahren fertig – rund um die Knochen. Als der Chor stand und die Knochen überdacht waren, ging dem großspurigen Bauvorhaben allerdings für ein halbes Jahrtausend die Puste aus. Fleiß war nie das Markenzeichen des rheinischen Katholizismus, konnte man doch durch Handel, Schwindel und Klüngel viel mehr verdienen.
Die Affäre um den Kölner CDU-Politiker Rolf Bietmann zeigt: Heute sind es Beraterverträge bei der Stadtsparkasse, die Einkommen ohne Leistung verheißen. Der Kölner nimmt es gelassen, kennt er doch die immergleichen Schnäuzer- und Bartgesichter, die in der Stadtpolitik kungeln. Und er weiß: Tatsächlich ist es besser, dass die Geld ohne Arbeit bekommen. Wenn die sich ernsthaft anschicken, etwas zu tun, wird’s in der Stadt erst richtig finster.
Köln ist eigentlich gar keine Stadt. „Kölle es e Jeföhl“, wie die Höhner jubilieren. Die Band trat früher vornehmlich im Karneval auf. Jetzt hat sie den Karneval auf das ganze Jahr erweitert und besingt vom FC über Handball und dicken Frauen bis zur Billig-Pizza alles, was der Kölner konsumiert. Die Kunde ist immer gleich: Wir sind, wie wir sind – und wie wir sind, sind wir perfekt! Und „da simmer dabei“, wobei auch immer.
Der richtige Soundtrack für eine Stadt, die wie im Dauerkarneval verwahrlost wirkt: Die Parks sind dreckig, die Brunnen laufen nicht mehr, jede zweite Rolltreppe ist kaputt, 90 Prozent der Neubauten sehen aus, als wären sie von ihren Architekten unter Alkoholmissbrauch entworfen worden. Der Oberbürgermeister ist sich für nichts zu schade, er schaltet sich gar persönlich in den Transfer des heiligen Lukas zum heiligen Christoph ins heilige Köln ein. Solch profaner Politkitsch würde nicht mal der Berliner Partynudel Wowereit in den Sinn kommen. Die Stadt wird nicht verschönert, sie wird verhöhnert.
Der Humor segnet hier die Religion
Dennoch ist Köln als Gemeinwesen immer noch fröhlicher und lebendiger als andere deutsche Städte. Der Zuzug in den rheinischen Kosmos nimmt stetig zu. Die Stadt empfängt den Fremden mit der ehrlichen Maxime: „Et hätt noch emmer joot jejange.“ Stillstand heißt hier auch ungestörte Entspannung. Was stört einen die Globalisierung, wenn der innere Globus eh an der eigenen Stadtgrenze aufhört?
Die Zugereisten sind die Vitaminspritzen gegen den Kater der Selbstbesoffenheit. So wurde auch der Dom letztlich von den Preußen zu Ende gebaut, deren Arbeitseifer die deutsche Geschichte geprägt hat. Wer hat denn vor 48 Jahren in nur wenigen Stunden eine halbe Stadt zugemauert? Die protestantischen Preußen in Berlin. In Köln hat man für eine einzige Kirche mehr als 600 Jahre gebraucht. Heute, 20 Jahre nach dem Mauerfall, muss man sagen: In Köln hätte man die Mauer niemals eingerissen – die wäre noch gar nicht fertig!
Jedoch bedarf auch unsere Wahrnehmung vom Dreigestirn im Kölner Dom einer Umkehrung. Im Kölner Karneval segnet die Religion den Humor – so scheint es zu sein. Aber ist es in Wahrheit nicht umgekehrt? Ist es nicht der Humor, der hier die Religion segnet? Die Welt zeigt uns doch tagtäglich, dass Religion ohne Humor vor allem eines ist: brandgefährlich! Zudem waren früher die Kirchen die höchsten Gebäude, heute sind es die Banken. Sie deshalb ernst zu nehmen, ist völlig falsch. Vieles, was sie uns verkaufen, ist ein Witz. Wir waren leichtgläubig wie Josef und sind doch nur Gläubiger, die leer ausgehen. Wer karnevalisiert uns nun den Kapitalismus?
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